Unser Verhalten wird massgeblich dadurch geprägt, wie in einer beliebigen Situation unsere Bedürfnisse befriedigt werden. Hier die Dynamik und Abhängigkeiten zwischen Bedürfnissen, Emotionen und seinen (eigenen oder fremden) Verhalten zu beobachten und zu verstehen, ist eine Grundlage, stimmiger mit sich und anderen Menschen umzugehen.
Die Landkarte der Bedürfnisse, Emotionen und des resultierenden Verhaltens von Friedrich Glasl und Ruedi Ballreich (siehe unten) zeigt diese Dynamik sehr schön auf. Die Landkarte liest sich von unten nach oben.
Wahrnehmungen und Interpretationen
Alle Informationen dringen durch unsere Wahrnehmungskanäle (sehen, fühlen, hören, riechen, schmecken) in uns ein. Sie werden von der Amygdala, einem Teil des Hirns erfasst, welches sehr alt ist, bevor sie in die kognitiven Hirnteile gelangen.
Wir fühlen die Welt zuerst, bevor wir über sie nachdenken! (Mediation in Bewegung, Glasl/Ballreich, S. 37)
Unser kognitives Zentrum bewertet anschliessend die Situation und interpretiert sie, mit unseren inneren Bildern, die sich aus unseren Erfahrungen und der Vergangenheit speist.
Bedürfnisse
Im unbewussten Fühlen, intuitiv, spüren wir, ob etwas gut oder schlecht für uns ist. Dies ist abhängig davon, wie gut unsere Bedürfnisse jetzt befriedigt werden. Darunterliegend spielt die Gefühlserinnerungen unserer Lebenserfahrungen mit, sie prägt die Toleranzschwelle, ab wann wir die Nichterfüllung eines Bedürfnisses nicht mehr aushalten.
Emotionen und Verhalten
Sind jetzt alle Bedürfnisse befriedigt, spüren wir Zufriedenheit, Glück, Lust und Entspannung.
Sind die Bedürfnisse nicht befriedigt und die Frustrationsschwelle überschritten, spüren wir Anspannung, Mangelerlebnis, Frustration, Bedrohung oder Angst.
Jetzt hängt es davon ab, wie bedrohlich wir die Situation wahrnehmen. Wenn wir genug innere Sicherheit haben, die Situation als Herausforderung zu sehen und ihr mit Selbstvertrauen zu begegnen, übernehmen wir Selbstverantwortung und setzen uns aktiv für unsere eigenen Bedürfnisse ein.
Wenn wir glauben, dass die Situation unsere Fähigkeiten übersteigt und selbst mit Anstrengung aussichtslos erscheint, fühlen wir uns ohnmächtig und überfordert. Je nach wahrgenommener Bedrohung und Einschätzung unserer Möglichkeiten entsteht ein instinktiver Handlungsimpuls, der mit einer Basisemotion verbunden ist:
Kampf: Wut steigt in uns auf, wir wollen uns gegen die Bedrohung zur Wehr setzen. Im sozialen Beisammensein kann das Reizen, Sticheln, provozieren, angreifen, «Machtspiele» spielen bis zur Gewaltanwendung gehen.
Flucht: Angst übernimmt das Regime, wir verzagen, verstummen, schlucken herunter, was uns im Hals oder Bauch steckt und ergreifen die Flucht.
Lähmung: Wir stellen uns «tot», zeigen Unverständnis, Gefühlslosigkeit überkommt uns und wir lassen es einfach geschehen.
In diesen Momenten übernehmen diese Kräfte das innere Ruder, unsere kognitiven und besonnenen Kräfte schwinden und der «innere Kampf ums Überleben» hat uns voll im Griff. Wir gleiten hier auf Entwicklungsstufen, die oft weit unter unseren Möglichkeiten liegen.
Diese Instinkt-Reaktionen haben uns früher vor Säbelzahntigern gerettet, sind aber in heutigen sozialen Interaktionen eine Überreaktion. In Teams und Beziehungen müssen wir nicht mehr ums Überleben kämpfen, aber unser Körper reagiert immer noch so.
Zusätzlich bewirken diese instinktiven und oft destruktiven Verhaltensweisen, dass sich daraus Potenzial für Spannungen und Konflikte ergeben. Den ist unsere Seele und unser Körper im Überlebensmodus, kommen uns Einfühlungsvermögen, Wahrnehmungsfähigkeiten sowie Handlungsoptionen und -Vielfalt abhanden. Und sobald der Konflikt eine gewisse Eskalationsstufe erreicht hat, steigt der Stress im Körper und in der Seele massiv, die Instinkt-Reaktion wird zum Dauerzustand.
Aus diesem ganzen Dilemma kann die Entwicklung der emotionalen Intelligenz Entlastung herbeiführen. Sie unterstützt uns, die Emotionen und Überlebensreaktionen wahrzunehmen, zu verstehen und gestalten zu lernen. Dank Praktiken wie Erforschen und Wahrnehmen des inneren Erlebens und aktivem Gestalten des Reiz-Reaktions-Raumes (und vielem mehr) kann eine Verschiebung hinzu mehr Ich-Steuerung und Selbstverantwortung stattfinden.
Unsere persönliche innere Landkarte zu erforschen, zu verstehen und zu regulieren (somit die emotionale Intelligenz zu stärken) ist in meiner Wahrnehmung im Leben so etwas wie der Königsweg. Früher oder später blüht diese Erkenntnis in jedem Menschen auf.
Zur Erforschung der persönlichen Landkarte können folgende Fragen hilfreich sein:
Welche Bedürfnisse sind bei mir aktuell stark ausgeprägt?
Wann nehme ich sie bewusst wahr? Wie und wo zeigt sich das in meinem Körper? Welche Gefühle haben die Botschaft transportiert?
Gab es in letzter Zeit Situationen, die ich bewusst als Bedürfnisnot wahrgenommen habe? Wie hat sich mein Innenleben dann abgespielt? Bin ich in die Selbststeuerung oder in die Ohnmacht gegangen?
Welches ist meine Instinkt-Reaktion auf grossen inneren Stress? Kampf? Flucht? Tot stellen?
Wann habe ich diese Instinkt-Reaktion das letzte Mal bewusst erlebt?
Was hätte mir geholfen, damit ich nicht in diese Instinkt-Reaktion komme? Was hätte ich in diesem Moment gebraucht? Wie kann ich dies beim nächsten Mal bewusst aktiveren?
Und wie immer, lernen wir, indem wir es tun. Die innere Landkarte können wir immer wieder, am besten mehrmals am Tag erforschen. Beim Zähneputzen, beim Warten auf den Zug, im Zug, im Meeting (wenn wir eh nicht zuhören wollen :-)), beim Spaziergang am Abend.
Ganz wichtig ist, dass wir die Qualität des inneren Erforschens und regulieren üben, wenn wir in einem ruhigen, entspannten Zustand sind. Als fortgeschrittener Forscher / Forscherin können wir in Stresssituationen auf dieses Handwerk zurückgreifen und Entlastung für uns und unser Umfeld herbeiführen.
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